Renate Schmidt: An niedrigen Geburtenraten sind nicht nur die Frauen schuld.

Familie

Deutschland hat ein Nachwuchsproblem. Das verraten einem nicht nur die nackten Fakten und Zahlen, hierbei reicht ein flüchtiger Blick auf die Rentendebatte oder andere Bereiche in denen sich ein Generationenkonflikt auftun könnte.
Deutschland wird immer älter und die Forderung nach einer familien- und kinderfreundlicheren Politik stellt sicher keinen Anfront gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern dar, die gerne mit dem etwas lieblosen Begriff „die Alten“ klassifiziert werden.

Das Problem niedriger Geburtenraten ist im Übrigen kein Problem der Frauen, wie immer wieder gerne behauptet wird. So leicht fällt die Schuldzuweisung nicht, auch wenn das einige Meinungsmacher gerne so propagieren wollen.
Es klingt sensationell und für einige vielleicht sehr überraschend, aber ich darf Ihnen verraten, Männer haben auch nicht mehr Kinder als Frauen.
Im Gegenteil: Ihre Kinderlosigkeit ist sogar noch etwas höher als die der Frauen.
Der Kinderwunsch ist im letzten Jahrzehnt von einstmals 2,2 Kindern auf 1,5 Kinder zurückgegangen. Frauen wünschen sich im Schnitt 1,7, Männer dagegen nur 1,3 Kinder.
Wenn man so will, wird der Kinderwunsch von Männern in Deutschland erfüllt. Der von Frauen zu einem Viertel nicht.
Der von Frauen am häufigsten genannte Grund warum sie kinderlos sind, heißt „Ich habe keinen Partner gefunden, der bereit war mit mir ein Kind zu bekommen.“
Warum das so ist, warum sich Männer seltener und weniger Kinder wünschen und größere Schwierigkeiten haben eine Familie zu gründen kann man bislang nur vermuten. Deshalb habe ich in der Expertenkommission Familie der Bertelsmann- Stiftung angeregt das erste Mal zu dem Thema intensive Männerforschung zu betreiben. Dies wird geschehen und erste Ergebnisse werden im September vorliegen. Frauen sind in Deutschland die am besten erforschten Wesen, über die Männer wissen wir so gut wie nichts. Eine chronisch vernachlässigte Spezies in diesem Forschungsbereich. Zu diesem Thema gab es auf verschiedenen Onlineportalen über 1000 Kommentare, die die dpa analysiert hat. Die häufigsten Gründe für die mangelnde Bereitschaft eine Familie zu gründen waren:

* die väterfeindliche Rechtssprechung und Gesetzgebung

* die Spaßgesellschaft – Kinder gehören nicht mehr zwingend zu einem gelingenden Leben

* finanzielle Nachteile

* berufliche Nachteile, denn in Zeiten der Globalisierung gehört die Familie zu den Globalisierungsverlierern. Permanente Verfügbarkeit egal an welchem Ort, also Flexibilität und Mobilität und Familie widersprechen sich. Familie braucht aber zeitliche Verlässlichkeit und ist ortsgebunden.

Wir haben in Deutschland, einerseits die weltweit höchste Kinderlosigkeit, weil vor allem gut ausgebildete Frauen (und Männer) ihre Kinderwünsche nicht realisieren. Andererseits eine in Deutschland unterdurchschnittliche Erwerbsbeteiligung von Frauen, weil die Entscheidung für Kinder für die Mütter einen längeren, meist ungewollten Abschied von der Erwerbstätigkeit bedeutet. 68% der Frauen in Führungspositionen sind kinderlos, bei den Männern sind es 27%. 9%der Frauen in Führungspositionen haben zwei oder mehr Kinder im Vergleich zu 23% der Männer. Somit heißt es für Frauen in den meisten Fällen weiterhin: Kind oder Karriere. Damit diese grundlegende Frage für potentielle Mütter, aber eben auch für mögliche Väter keine „oder“- sondern eine „und“- Entscheidung wird, muss das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf ganz oben auf der Agenda stehen. Auch wenn Frauen das Thema sig- nifikant häufiger als „sehr wichtig“ einschätzen als Männer, zeigt der Vergleich der Mittel- werte, dass auch den befragten Vätern sowie Männern mit Pflegeaufgaben das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr am Herzen liegt. Hervorzuheben ist, dass auch Männer sowie die ebenfalls oft männlichen Hauptverdiener in der Familie sich keineswegs mit einer Rolle als „Familienernährer“ zufrieden gaben, sondern dass sie sich ebenfalls wünschten, beide Bereiche unter einen Hut zu bekommen. Die „Hitliste“ der familienfreundlichen Maßnahmen in Betrieben führen familienfreundliche Arbeitszeiten an, gefolgt von Sozialleistungen für Familien. Am dritthäufigsten werden Freistellungsmög- lichkeiten für Pflegeaufgaben genannt. Es folgen ein familienfreundliches Betriebsklima und Angebote während der Elternzeit, zum Beispiel auf Weiterbildung, Aushilfsmöglichkeiten oder Kontakt halten. Familienfreundlichkeit spielt bis heute in den Chefetagen und Personalabteilungen aber ein viel zu geringes Thema. Hier muss ein Umdenken her und eines klar vermittelt werden: Investitionen in Familienfreundlichkeit lohnen sich für die Unternehmen nicht nur ideell, sondern auch in Euro und Cent. Und daher mein Rat an die Wirtschaft: Probieren Sie es aus, es lohnt sich! Ihre
Renate Schmidt

 
 
 

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