„Es wird einen Qualitätsschub geben“

Senioren


Quelle: pixelio.de

Am 1. Juli tritt die Pflegereform in Kraft. Eine „gute und sehr sozialdemokratische Reform“ nennt sie Karl Lauterbach. Was besser wird, wo CDU und Lobbygruppen blockiert haben, dazu der SPD-Gesundheitsexperte im Interview.

Die SPD ist stolz auf dieses Jahrhundertwerk. Was erwartet uns?

Eine Jahrhundertreform ist es sicher nicht. Aber es ist eine gute und sehr sozialdemokratische Reform. Wir stärken die ambulante Pflege. Die war im Vergleich zur stationären Pflege unterfinanziert. Es gibt mehr Geld für Demenzkranke, die bisher am schlechtesten versorgt waren. Die Angehörigen-Pflege wird besser gestellt. Was ich für besonders wichtig halte: Die Qualität der Pflegeheime wird regelmäßiger geprüft, und die Ergebnisse werden öffentlich gemacht.

Wie kann der Verbraucher in Zukunft die Qualität der Heime vergleichen?

Die Prüfberichte des Medizinischen Dienstes (MDK) werden ins Internet gestellt und sie werden auf Anfrage von den Heimen auszuhändigen sein. So kann man sich vor Ort informieren, wie das eigene Heim oder das Heim, das man wählen möchte, abgeschnitten hat. Davon wird ein richtiger Qualitätsschub ausgehen.

Wie wird die Qualität der Pflege gemessen?

Wie viele Minuten wurden verwendet, was wurde gemacht – das alles ist Kontrolltechnik von gestern. Wir müssen schauen, dass in den Einrichtungen gut qualifiziertes Personal tätig ist, und dass ausreichende Löhne gezahlt werden können. Auch der Mindestlohn in der Pflege ist sehr wichtig, um qualifiziertes Personal zu gewinnen. Gute Pflege ist offensichtlich: Man kann riechen, ob jemand regelmäßig gewaschen wird oder nicht. Man sieht, ob die Haare gewaschen sind oder nicht, ob jemand Druckgeschwüre hat oder nicht. Weil schlechte Pflege so leicht erkennbar ist, wissen wir ja auch, dass wir so große Probleme haben.

Wie soll überprüft werden, ob das im Personalschlüssel vorgeschriebene und von den Kassen im Voraus bezahlte Fachpersonal beschäftigt wird?

Es geht darum, wie gut die Versorgung ist, wie zufrieden die Heimbewohner sind. Daher setze ich am stärksten auf Transparenz bei der Qualitätskontrolle. Wenn das sauber gemacht wird, bringt das mehr, als zu kontrollieren, ob hinter jeder Planstelle ein qualifizierter Mitarbeiter steht.

Wie zuverlässig sind die Prüfberichte des MDK?

Zweifel werden nur von denjenigen geäußert, die die schlechtesten Ergebnisse haben und die Veröffentlichung ablehnen. Das Problem ist nicht die Qualität der Prüfungen sondern die Qualität der Versorgung. In einigen Heimen wird jeder zweite zu Pflegende nicht so versorgt, wie das angemessen wäre.

Ein unabhängiger Heimarzt könnte dafür sorgen, dass besser gegen Stürze und Druckgeschwüre vorgesorgt wird. Warum kommt der Heimarzt nicht?

Der Heimarzt ist auf der Strecke geblieben – im wahrsten Sinne des Wortes. Aber im Rahmen der integrierten Versorgung in der Pflege sind Heimärzte indirekt einführbar. Ich hoffe, dass die Kreativität der Kassen ausreicht, den Heimarzt über die Integrationsprojekte doch noch einzuführen.

Seit vielen Jahren ist bekannt, dass die Pflegemissstände flächendeckend sind. Wo sitzen die Veto-Spieler?

Die Verbände, die die Pflege organisieren, haben es bisher immer geschafft, die für einen funktionierenden Wettbewerb notwendige Transparenz abzuwenden. Die Verbände haben allesamt vorgetragen: „Verlasst euch auf unsere Qualität und berichtet uns, wie die Prüfergebnisse waren. Das muss nicht öffentlich werden.“ Das haben wir diesmal nicht akzeptiert.

Die Pflegestufen waren ein Feldversuch, der schief gegangen ist. Warum schafft man sie nicht ab?

Das ist ein Langzeitziel. Ich glaube tatsächlich, dass das starre System der Pflegestufen der Komplexität der Pflege nicht gerecht wird. Aber wenn man eine andere Bemessung der Pflegebedürftigkeit einführen will, muss man das sehr genau planen. Das ist in Arbeit, aber gute Systeme, wie z.B. das Kanadische sind nach Deutschland nicht schnell übertragbar. Da brauchen wir noch zwei, drei Jahre.

Warum blieb die Finanzierung ungelöst?

Da hat die Union sich gesperrt. Sie war nicht damit einverstanden, dass sich Privatversicherte an der Finanzierung der solidarischen Pflege stärker beteiligen als heute. Das ist Lobbypolitik pur. Die Union hat hier für 10 Prozent der Bevölkerung versucht, Politik zu machen, und lässt 90 Prozent, nämlich die gesetzlich Versicherten, im Stich.

Interview Veronika Neukum (Vorwärts)
Im Netz der Pflegemafia lautet der Schwerpunkt der Ausgabe Mai 2008 des vorwärts.

 
 
 

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